03.12.2020
Patienten geben an, dass ihnen ein gutes Verhältnis zum Arzt das Wichtigste sei. Es geht um Vertrauen. Die Picker Befragung unterstützt dabei, die Wahrnehmungen und Eindrücke der Patienten als Chance zur Verbesserung zu nutzen.
Berlin/Mühlacker/Jena/Aachen/Mainz. Der Arzt sagte über den Verlauf der Operation zu seinem Patienten, es sei alles gut gelaufen. Es könne aber sein, fügte er dann noch an, "dass Ihre Milz entfernt wurde. Das steht zwar nicht im OP-Bericht, aber auf dem CT fehlt ein Organ." Es sind Geschichten wie diese, die Marianne Rabe von der Charité Universitätsmedizin Berlin die Kinnlade herunterklappen lassen.
Etliches habe sich in der Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten verbessert und dennoch hört die pädagogische Geschäftsführerin der Charité Gesundheitsakademie immer wieder von solch misslungenen Gesprächen, wenn Mediziner schlechte Nachrichten überbringen müssen: Patienten sind geschockt, Ärzte überfordert.
Geht es um die Diagnose einer lebensbedrohlichen Krankheit, ist besonders viel Sensibilität gefragt. Bettina Sandritter aus dem baden-württembergischen Mühlacker ist Fachärztin für Krebserkrankungen und täglich damit konfrontiert. Das sei ein Moment, der beide Seiten belastet, erzählt die Onkologin. Jeden Tag, sagt sie, sitze sie vor Menschen, die Angst haben.
Nachdem sie ihnen die Diagnose mitgeteilt habe, wollten etwa zwei Drittel ihrer Patientinnen und Patienten von Bettina Sandritter genau wissen, was los sei. Andere reagierten wütend, verärgert, weil sie mit einer traurigen Wahrheit nicht zurechtkämen. Sie kämpften mit dem Gefühl, etwas aufgeschoben und nun versäumt zu haben. "Mit Angehörigen ist das Gespräch oft sogar noch schwieriger, weil sie ihre Lieben schützen und manche selbst bei einem Über-80-Jährigen den nahenden Tod nicht wahrhaben wollen."
Die Picker-Patientenbefragung in Krankenhäusern zwischen 2017 und 2019 zeigt, dass viele Menschen unglücklich mit dem Verlauf von Arztgesprächen sind. Knapp 30 Prozent der etwa 32.000 Befragten gaben an, dass ihnen die Ergebnisse von Untersuchungen nicht oder nur einigermaßen verständlich erklärt wurden. Mehr als jeder Dritte von etwa 51.000 Befragten konnte seine Ängste mit Ärztinnen und Ärzten nicht ausreichend besprechen. Zugleich geben Patienten an, dass ihnen ein gutes Verhältnis zum Arzt das Wichtigste sei. Es geht um Vertrauen.
Wenn diese Vertrauensbasis fehlt, werden die Heilungschancen geringer, erklärt Swetlana Philipp vom Institut für Psychosoziale Medizin, Psychotherapie und Psychoonkologie des Universitätsklinikums Jena. Die Patienten könnten sogar die Therapie ablehnen. "Einige verbringen dann ihre restliche Zeit damit, Zweit- oder Drittmeinungen einzuholen", berichtet die Onkologin Bettina Sandritter. Dabei verrinne ihre Lebenszeit in großer Unruhe - "das Letzte, was man in so einer Situation gebrauchen kann".
Das Recht auf Selbstbestimmung der Patienten sei größer geworden, erläutert Dominik Groß, Professor am Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin des Universitätsklinikums Aachen. Er erklärt, dass Ärzte heutzutage viel umfassender aufklären und den Willen des Patienten stärker achten. Früher hingegen entschied nur der Arzt, was das Beste für den Kranken sei. "Einige können es kaum aushalten, wenn der Patient etwas anderes will als sie", beobachtet die Ethikberaterin Marianne Rabe von der Charité Universitätsmedizin Berlin.
Ein weiteres Problem beim Überbringen schlechter Nachrichten: Laut Medizinethiker Dominik Groß vom Universitätsklinikum Aachen sind sich nicht alle Ärzte bewusst, dass sie sich in Fachsprache und damit oft unverständlich ausdrücken. "Es gibt allerdings auch eine Bringschuld des Patienten, nachzufragen", sagt er. Vor allem jedoch der Zeitdruck in Kliniken und Praxen führe dazu, dass Gespräche fehlschlagen.
Viele Inhalte müssen in wenigen Minuten vermittelt werden, sagt Gertrud Greif-Higer, geschäftsführende Ärztin des Ethikkomitees der Universitätsmedizin Mainz. Solche Gespräche seien fachlich und psychologisch schwer, ihre Vergütung aber extrem gering. "Das Bezahlsystem ist ein Spiegel dessen, was wir schätzen. Die sprechende Medizin hat in unserem Alltag also einen geringen Stellenwert."
Zu gering, wie sie findet. Stattdessen verweisen manche Ärzte an Seelsorger und wälzen damit eine ihrer Kernaufgaben ab. Vielen Medizinern graue es vor Tränen, sie seien hilflos, sagt Marianne Rabe von der Charité Gesundheitsakademie: "Sie trauen sich solche Gespräche nicht zu." Das sei belastend, ließe sich aber ändern: Hilfreich seien für Ärzte und Pflegepersonal Aus- und Fortbildung in Kommunikation.
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Quelle: Insa van den Berg / Evangelischer Pressedienst - Zentralausgabe, 22.
Oktober 2020